Das Leben ohne Undo-Funktion

Christian Neff hat sich letztes Jahr darüber geärgert, dass die Mehrheit seiner Klasse nicht mal mehr ein Ordner-Inhaltsverzeichnis sauber und fehlerfrei von Hand erstellen kann:

Wahrscheinlich wäre es für mich einfacher gewesen, ich hätte meine Schüler die Sache im Word erledigen lassen oder hätte die Datei gleich gegeben und nur noch die Schriften gestalten lassen – hätte mich weniger Nerven und die Schüler weniger Zeit gekostet – und das Resultat wäre vieeeeeel schöner gewesen.

Ich stelle vermehrt fest, dass die Schüler nicht mehr in der Lage sind, mit Blei- oder Farbstift oder mit dem Fülli umzugehen und etwas anständig zu gestalten. Ein Blatt fehlerfrei abschreiben zu lassen wird für mich und für die Kinder zur Tortur und für den Materialverwalter zum Ärgernis, weil ich so viele Blätter verschwende.

Ich glaube, dies hat mit ICT zu tun und dagegen kann etwas unternommen werden. Wir müssen die Kinder wieder vermehrt gestalten lassen, schreiben lassen, radieren lassen, zeichnen lassen und zwar nicht am PC – sondern auf einem altehrwürdigen Stück Papier. Skifahren lernt man ja auch nicht mit der Ski-Challenge, Autofahren nicht mit einem Formel-1-Game und Fussballspielen nicht mit FIFA’08 – oder?

Schwimmen lernt man nicht im Trockenen, Skifahren nicht am PC, aber bereits beim Autofahren bin ich mir nicht mehr so sicher. Zumindest fliegen lernt man ja heute zu Beginn im Flugsimulator. Simulation ist ein wichtige Funktion des Computers, die viele Lerngelegenheiten bietet.

Aber darauf wollte ich nicht hinaus. Die computervergewöhnten Kinder von heute wachsen mit der Idee einer allgegenwärtigen Undo-Funktion auf. Alles ist rückgängig machbar und reversibel, nichts scheint endgültig, alles nur simuliert, emuliert, virtualisiert. Wozu sich konzentrieren, wenn sich Fehler leicht wieder ausmerzen lassen? In diesem Sinn ist Papier und Kugelschreiber eine ungewohnte Ausnahme: Ein Fehler bleibt trotz Tipp-Ex sichtbar.

Nun, ist es denn schlimm, wenn ein neues Werkzeug dazu führt, dass alte Fertigkeiten verloren gehen? Zumindest ist es kein neues Phänomen: Bereits Platon hat sich vor über zweitausend Jahren darüber beklagt, dass die Schrift das Gedächtnis verkümmern liesse.

Trotz neuen Medien, Informationsgesellschaft und Co. wird es aber im Leben weiterhin Bereiche geben, die keine Undo-Funktion besitzen. Kinder und Jugendliche müssen dies lernen und selbst erfahren, wenn möglich aber nicht in Bereichen, wo die Schäden irreversibel und gross sind.

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5 Responses to Das Leben ohne Undo-Funktion

  1. admin says:

    Upps, dieses Posting lagert seit Monaten als Entwurf in WordPress. Wie kommt es, dass dieser Entwurf plötzlich publiziert worden ist?

  2. Kinder und Jugendliche denken wohl auch, dass es im Internet eine UNDO-Funktion für ihre Postings und Bilder gibt. Leider ist das nicht so und es tappen viele in diese Falle.

  3. Dani says:

    Als Privatpilot muss ich der Aussage, dass man fliegen heute zu Beginn im Simulator lernt, widersprechen. Ich habe meine Ausbildung zwischen 2005 und 2007 gemacht und sass dabei von Anfang an im Flugzeug und kein einziges Mal im Simulator.

  4. Res says:

    Lieber Christian
    Es ehrt dich, wenn du als ICT-Spezialist und Virtual-Freak derart kritische Fragen aufwirft und dich über gewisse Unvermögen der heutigen Jugendlichen auslässt. Als LP im Technischen Gestalten muss ich mich täglich mit dem handwerklichem „Knowhow“ heutiger Kinder auseinandersetzen. Und ich kann deiner Argumentation recht gut folgen. Schlussendlich sind aber die uns anvertrauten Kinder lediglich ein Produkt der heutigen Gesellschaftsform und deren (virtuellen)Dekadenz…
    Als ehemaliger Bauzeichner habe ich drei Jahre lang jeden Tag eine Stunde lang die Normschrift mit Redis-Federn und Zeichentusche (Kennst du die noch?)geübt, proportionale Buchstabenabstände einschätzen gelernt, Schriftdicken und deren Wirkung auf den Leser studiert. Ich bin heute noch im Stande, z.B. auf Briefumschlägen (ohne Hilfslinien)eine fadengerade Zeile zu schreiben.

    Die technischen Möglichkeiten erlauben es heute mittlerweile jedem halbwegs Normalbegabten, ein scheinbar „…vieeeeeel schöneres Ergebnis“ zu erreichen. Ich muss dazu bemerken: Viele der heutigen User sind von der Schriftenfülle und den grafischen Möglichkeiten schlichtwegs überfordert. Was man da an „schönen“ gestalterischen „Ergüssen“ sieht..! Da werde ich zum Platon!
    Beat Döbeli-Honegger schreibt:
    „..Nun, ist es denn schlimm, wenn ein neues Werkzeug dazu führt, dass alte Fertigkeiten verloren gehen?“.
    Und gleichzeitig relativiert er:
    „Kinder und Jugendliche müssen dies lernen und selbst erfahren, wenn möglich aber nicht in Bereichen, wo die Schäden irreversibel und gross sind.“
    – Können Sie, lieber Herr Döbeli, da mal etwas konkreter werden? Was verstehen Sie unter „irreversible, grosse Schäden“? Wie soll ein Kind – in die heutigen virtuellen Möglichkeiten geschubst – noch etwas „selber erfahren“? – Wohl nur dadurch, dass sie grundlegendes Werkzeug erlernen, und dadurch erst im Stande sind, moderne Mittel zu hinterfragen… – In diesem Sinne gebe ich Christian Neff vollkommen Recht!

    Noch soviel zum „Flugsimulator“: Mich hat zwar ein Flugsimulator vermutlich vor noch mehr Unkosten bewahrt (Crash von Modellhelis). Schlussendlich musste ich das „wirkliche“ Fliegen mit den fragilen und völlig instabilen Flugkörpern jedoch trotzdem in der Realität erlernen. Im den Flugprogrammen können wohl -zig Parameter voreingestellt werden; – die Realität erreichen sie trotzdem nie! Die Crashs kamen dennoch, jedoch vermutlich in geringerer Anzahl. Aber: Ich habe mich nebst dem virtuellen Werdegang auch mit der Realität auseinander gesetzt. Virtualität als reines Werkzeug nützt da wenig, wenn der Bezug zur Praxis fehlt!

  5. Res says:

    NACHTRAG ZU MEINEM VORANGEHENDEN BEITRAG:

    Siehst du, Christian:
    Meinen letzten Kommentar habe ich rasch und routiniert und sooooo schön deponiert. Bei der nachträglichen Durchlese (leider erst nach dem Absenden) stelle ich grammatikalische und stilistische Fehler fest. Das wäre mir früher nicht passiert, als ich Schriftstücke noch von Hand entwerfen musste. Die technischen Möglichkeiten (CTRL c / CTRL v etc. etc.) verleiten mich dazu, flüchtig zu werden…
    Zumindest: Ich merke es noch.
    Auch die kids..?
    LG

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