Vom visionären Lehrer der ersten iPhone-Klasse zum pragmatischen Rektor einer Schule mit einem Verbot privater digitaler Geräte

Meine Reise mit dem Smartphone begann voller Euphorie. Heute sage ich Ja zum Handyverbot an unserer Schule. Ein persönlicher Rückblick auf die letzten 18 Jahre.

2007:  MEIN iPhone – der erste Impuls

2007 importierte ich mein erstes iPhone aus den USA. Schon beim Auspacken spürte ich: Das ist mehr als ein neues Spielzeug – da steckt enormes Potenzial für Schule und Lernen. Im Blogbeitrag schrieb ich:

„Es gibt im Lehrplan ICT kein Ziel, welches ich nicht mit diesem Gerät erreichen könnte – aber es geht viel weiter: Lernen und Üben, Informationsbeschaffung und Kommunikation und auch konstruktiv kreatives Arbeiten ist problemlos möglich. Tja, es wäre so toll – aber alles hat seinen Preis und der ist für unsere Schule leider zu hoch. Aber in einem Punkt bin ich mir sicher: Die Zukunft ist mobil – mit oder ohne iPhone 🙂“

👉 Link zum Blogartikel: MEIN iPhone


2009: Das iPhone-Projekt – vom Traum zur Realität

525 Tage nach „MEIN iPhone“ schrieb ich:

„Seit heute ist alles anders: Die Schülerinnen und Schüler meiner nächsten Klasse werden als Pilotversuch des Instituts für Medien und Schule und mit Unterstützung von Swisscom mit iPhones ausgestattet. Eine spannende Zeit beginnt …“

Damit startete das iPhone-Projekt: Meine 5. Klasse erhielt persönliche iPhones 3G – auch zur Nutzung zu Hause. Die Idee war ebenso einfach wie radikal: Schule sollte nicht länger Geräte verbieten, sondern zeigen, wie man sie sinnvoll nutzt – und auch kritisch mit Risiken umgeht. Ich war mir sicher:

„Wenn wir die Geräte der Schülerinnen und Schüler ignorieren, verpassen wir die digitale Realität.“

👉 Link zum Blogartikel: Das iPhone-Projekt


(ab) 2013: Brings-mIT! – BYOD wird Alltag

Mit Brings-mIT! brachten die 5./6. Klassen ihre eigenen Geräte mit; für Kinder ohne eigenes Gerät gab es Leihgeräte. Ziel: Vorhandene Ressourcen nutzen, Medienkompetenz im Alltag aufbauen, Chancen wie auch Risiken sichtbar machen. Warum wir das machten, hat Beat Döbeli so beschrieben:

„Bisher wird diese Entwicklung von Schweizer Schulen wenig genutzt oder medienpädagogisch begleitet. Oft werden die Geräte in der Schule einfach verboten. Damit ignoriert die Schule in der Schweiz einerseits die didaktischen Potenziale […]. Andererseits verpasst die Schule aber auch die Möglichkeit, Fragen von Sucht und Missbrauch zu thematisieren und eine sinnvolle, kritisch emanzipierte Nutzung aufzuzeigen und einzuüben.“

👉 Link zum Blogartikel: Brings-mIT


2015: Masterarbeit – BYOD als Schulentwicklung

Ich veröffentlichte meine Masterarbeit „BYOD – Integration mobiler Geräte in der Schule“ und hielt zahlreiche Vorträge an Fachtagungen im In- und Ausland. Mein damaliges Fazit:

„BYOD ist mehr als Technik – es ist Schul- und Unterrichtsentwicklung.“

👉 Link zum Blogartikel: BYOD – Integration mobiler Geräte in der Schule


2020: Ein neuer Weg – schulfinanzierte Geräte für alle

Seit Frühling 2020 stellt die Schule allen Kindern ein eigenes Gerät zur Verfügung. Was früher Vision und Kampf war – dass jedes Kind jederzeit ein digitales Werkzeug hat – wurde nun selbstverständlich. Doch es war nicht mehr BYOD, sondern eine schulische Lösung: fair, einheitlich und pädagogisch durchdacht. Für mich war klar: Wir waren an einem neuen Punkt angelangt. BYOD war zwar weiterhin erwünscht, geriet aber immer mehr aufs Abstellgleis.


2025: Verbot privater digitaler Geräte

Der Schulrat Arth verbietet private digitale Geräte im Kindergarten und in der Primarstufe. Begründung: Konzentration und Gesundheit, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, soziale Aspekte, organisatorische Entlastung.

Der Auslöser dieses Verbots war, dass bereits Kindergärtler regelmässig über die Smartwatch mit ihren Eltern telefonierten – und wir sogar den Verdacht hatten, dass der Unterricht über Smartwatches mitgehört wurde. Daraus entstand der Entscheid, Smartwatches konsequent zu verbieten. Und wer Smartwatches ausschliesst, muss folgerichtig auch alle weiteren privaten Geräte mit diesen Funktionen einbeziehen.

An unzähligen Vorträgen in der Schweiz, in Österreich und Deutschland habe ich die Haltung vertreten, dass wir die privaten Geräte im Unterricht integrieren müssen. Heute ist die Situation eine andere: Mit dem Entscheid, ab der 3. Klasse alle Kinder 1:1 mit schulfinanzierten Geräten auszustatten, wird dieses Lernfeld auf pädagogisch sinnvolle und einheitliche Weise umgesetzt.

Dieses Verbot ist kein Stopp-Schild für digitale Entwicklung. Im Gegenteil – es ist eingebettet in eine Digitalstrategie, die mit der 1:1-Ausstattung sicherstellt, dass alle Kinder gleichwertig und pädagogisch begleitet mit (persönlichen) Geräten arbeiten können. Deshalb unterstütze ich die neue Regelung aus voller Überzeugung – sie schützt die Kinder, schafft Klarheit und stärkt die Qualität unseres Unterrichts und des Zusammenlebens.

👉 Link zur Regelung: Artikel auf der Webseite Gemeindeschulen Arth-Goldau


Waren das iPhone-Projekt und BYOD ein Irrweg?

Manche könnten sagen: „Jetzt haben auch die es eingesehen!“ Ich sehe das anders: BYOD war keine Sackgasse, sondern eine notwendige Pionierphase. BYOD hat uns gezeigt, wie entscheidend pädagogische Steuerung, klare Rahmenbedingungen und Chancengleichheit sind. Es ist nicht meine (unsere) Haltung, die sich verändert hat – der Kontext ist heute ein völlig anderer. Damals gab es noch keine schulfinanzierte 1:1 Ausstattung. Und während beim iPhone-Projekt soziale Medien kaum eine Rolle spielten, prägen sie inzwischen den Alltag und die Aufmerksamkeit der Kinder massiv.

Heute gehen wir also einen anderen Weg – nicht aus Resignation, sondern aus Erkenntnis. Vor ein paar Jahren hätte ich nicht im Traum daran gedacht, ein Handyverbot zu befürworten. Doch die Welt von heute ist nicht mehr die von 2009:

  • Smartphones sind allgegenwärtig – und auf Ablenkung programmiert. Social Media, Gaming und Dauer-Notifications machen Konzentration heute viel schwerer als früher.
  • Schulen müssen Orientierung geben. Ohne klare Strukturen bestimmen Algorithmen und Kommerz den Umgang mit digitalen Geräten – nicht die Pädagogik.
  • Chancengleichheit braucht gleiche Grundlagen. Unterschiedliche Geräte bedeuten ungleiche Möglichkeiten. Ein schulfinanziertes Gerät stellt sicher, dass alle Kinder ähnliche Voraussetzungen haben.
  • Kinder brauchen Schutzräume. Zeiten und Orte ohne digitale Dauerpräsenz sind heute wichtiger denn je – genauso wie Bewegungspausen oder Ruhezeiten.

BYOD war ein wichtiger Schritt. Heute geht es mir als Rektor aber stärker darum, eine homogene Ausstattung mit pädagogisch fundierten Handlungen sicherzustellen – und nicht jedes Kind mit seinem individuellen Gerät experimentieren zu lassen.

Fazit: Vom Pionier zum Pragmatiker

BYOD war wichtig, mutig und prägend. Im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung entstand auch LearningView – ein Werkzeug, das es ohne diese Projekte vielleicht nie gegeben hätte. Und das wäre jammerschade. Denn LearningView ist heute ein zentrales Instrument für individualisierten Unterricht. Es ermöglicht Schülerinnen und Schülern, ihren Lernprozess zu planen, zu dokumentieren und zu reflektieren, und unterstützt Lehrpersonen bei der Organisation des Unterrichts. LearningView ist damit eine direkte Weiterentwicklung dessen, was BYOD damals ermöglicht hat – ein Werkzeug, um individuelle Verantwortung fürs Lernen sichtbar und praktisch umsetzbar zu machen.

Unser Verbot ist kein Rückschritt, sondern ein Schritt nach vorn. Es ist nicht das Ziel, das ich einst im Blick hatte – aber vielleicht genau der Weg, der uns weiterbringt. Und die Reise ist noch lange nicht zu Ende. Ein Geräteverbot kann nur dort sinnvoll sein, wo die Schule gleichzeitig Verantwortung übernimmt und allen Kindern verlässliche digitale Lernwerkzeuge bereitstellt. Verbieten allein wäre Stillstand – im Zusammenspiel mit einer klaren Ausstattungspolitik ist es ein Schritt nach vorn.

Und weil ich auf diesen Film immer noch stolz bin, verlinke ich ihn hier – vielleicht zum letzten Mal, denn „Goldau ist nur ein Dorf“: Bericht zum iPhone-Projekt der Projektschule Goldau vom 13.02.2011

Dieser Beitrag wurde unter BringsMIT!, Digitaler Alltag, Erfahrungen, iDevice, Infrastruktur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Vom visionären Lehrer der ersten iPhone-Klasse zum pragmatischen Rektor einer Schule mit einem Verbot privater digitaler Geräte

  1. Philipp Neff sagt:

    Lieber Christian – dein Beitrag und das Erkennen der Chance zur Nutzung dieser Geräte ist und bleibt sensationell. Vor allem die Nutzung als Übungsgerät (Rechnen, Sprache) überzeugt mich. Dass ein Bericht über das Projekt den Weg in jedes Flugzeug der Swiss geschafft hat und deine Arbeit in einem Podiumsgespräch mit dir in der grössten Aula der ETH Zürich vorgestellt und diskutiert wurde, erfüllen mich mit Stolz auf meinen Bruder. Wünsche Glück und Zufriedenheit mit den weiteren Schritten nach vorn.

  2. Christian Neff sagt:

    Danke lieber Philipp, es war übrigens sogar das „Lufthansa-Bordmagazin“ 😉
    https://www.projektschule-goldau.ch/berichte/medienberichte
    Der ETH-Anlass ist mir in bester Erinnerung!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert